Zuckergeist
 

Warum das Leid der Zuckergeister durch den Mangel an Geborgenheit entsteht


Ein Kind kommt in einem Zustand zur Welt, in dem es allein nicht lebensfähig ist.
Es ist darauf angewiesen, dass die Menschen, mit denen es aufwächst, es führen, ihm zeigen, wie "das Leben" funktioniert. Dafür ist das Kind mit sehr feinen "Antennen" ausgestattet, die ihm anzeigen, wie die Menschen, die ihm am nächsten stehen, ihr Leben führen. Es möchte sich abschauen, wie diese Menschen leben. Meistens sind dies die Eltern. Das Kind hat nicht nur diese feinen Antennen nach außen, es hat auch ein Vertrauen, das "nach außen" gerichtet ist. Das Kind kann sich noch nicht selbst vertrauen, da es ja in der Welt alleine vollkommen hilflos ist. Es ist auf ganz natürliche Weise auf das Vertrauen auf die Eltern angewiesen. Es vertraut "blind" - ohne zu hinterfragen. Es nimmt alles an, was es an Informationen von den Bezugspersonen bekommt. Es vertraut den Eltern sein ganzes Leben an. Es liegt nackt und hilflos da. Es würde verhungern ohne die Mutter. Erfrieren ohne die Fürsorge des Vaters. Es ist ohne die Eltern vollkommen hilflos. Es ist so auf die Aufmerksamkeit eines anderen Menschen angewiesen, dass es sogar die eigenen Gefühle über die Reaktionen der Eltern zu deuten lernt.

Der Säugling spürt nur ein Gefühl des Unwohlseins. Wenn die Mutter das Gefühl des Kindes richtig als Hunger versteht, so stillt sie es. Wenn es müde ist, dann weiß das Kind nicht, dass es müde ist. Aber die Mutter erkennt es und legt es schlafen. Wenn das Kind friert, sagt es nicht "Mama, mir ist kalt", sondern es ist darauf angewiesen, dass sie erkennt, was dem Kind fehlt und es wärmt.
Durch die richtigen Reaktionen der Mutter oder einer anderen Bezugsperson, lernt das Kind, seine Bedürfnisse bewusst wahrzunehmen. Es lernt regelrecht, sich selbst zu fühlen. Wenn die Mutter auf ein bestimmtes Gefühl des Kindes mit der richtigen "Maßnahme" reagiert, so lernt das Kind sein eigenes Gefühl einzuordnen. Es lernt nach einem klassischen Reiz-Reaktions-Prinzip. Hat es genug Erfahrungen zu seinen Gefühlen gesammelt, so lernt es sich selber so gut kennen, dass es sich selber vertrauen kann. Es gewinnt Selbstvertrauen. Es benötigt nicht mehr die Mutter, die das Gefühl für das Kind interpretiert. Es kann es selber einordnen. Und so kommt es zu recht in einem gewissen Alter zu Trotzreaktionen, wenn die Mutter das Kind bevormunden will und ihm sagt, was es zu tun habe: Denn das Kind lernt, sich selber zu vertrauen. Das Kind kann nun die Aufmerksamkeit von der Mutter abziehen und auf sich selber richten. Es braucht die Mutter nicht mehr, um zu wissen, was es fühlt. Es hat auch inzwischen immer mehr die Möglichkeit, sich über die Sprache zu äußern. Es kann sprechen und muss nicht mehr schreien. Es kann sich mitteilen. Durch diese "Mündigkeit", im wahrsten Sinne des Wortes, kann das Kind seine Antennen von außen nach innen richten. Die Aufmerksamkeit geht von der Reaktion der Mutter weg, hin zu seinem eigenen Innenleben, denn es hat gelernt, seine Gefühle wahrzunehmen und zu deuten und entsprechend zu handeln, bzw. um Hilfe aktiv zu bitten.

Damit das Kind dieses Selbst-Bewusstsein und damit dieses Selbst-Vertrauen lernen kann, ist es notwendig, dass eine Bezugsperson da ist, die das Einfühlungsvermögen in den Säugling hat, seine Reaktionen richtig zu deuten. Wenn dies der Fall ist, entwickelt sich ein gesundes, selbstständiges Kind.

Doch was passiert, wenn diese Bezugsperson nicht da ist? Das Kind ist verloren, weil es keine Chance hat, sich selber über den Spiegel des Erwachsenen kennenzulernen. Nun kann man einwenden, dass ja heutzutage alle Kinder Eltern haben, die sich um das Kind kümmern, ihnen mangele an nichts, sie wüchsen im Wohlstand auf, müssten nicht hungern, nicht frieren und hätten alles, was sie bräuchten. Auch in der Fremdbetreuung herrsche Überfluss an Krackern, Reiswaffeln und Co. Alle Grundbedürfnisse sind befriedigt. Wo ist also das Problem?

In den westlichen Ländern wachsen die Kinder in Wohlstand und großem Überfluss auf. Was ihnen aber weiterhin fehlt, ist die Reaktion der Eltern auf die konkreten Bedürfnisse des Kindes.
Ein extremes Beispiel, das jedoch sehr häufig vorkommt, ist die Situation, dass ein Säugling sich die Lunge aus dem Hals schreit und alle Bezugspersonen auf Trapp hält und in Hilflosigkeit zurücklässt, weil er sich einfach nicht beruhigen lassen "möchte". Die erste Reaktion der Mutter könnte sein, dass sie den Säugling versucht zu "stillen", denn dieser Begriff bietet ja die Lösung direkt an. Er wird daher meist als erstes in Erwägung gezogen. Doch das Kind wendet sich ab, läuft rot an und lässt sich nicht beruhigen, schreit vielleicht sogar noch mehr. Die Mutter ist verunsichert und reicht das kreischende Kind an den Vater weiter. Der nimmt es über die Schulter, wippt und tätschelt, meist begleitet von einem Dududu und Heititei. Doch das Kind schreit und schreit und schreit. Dann wird das Kind bespaßt, mit dem Kind gespielt, um es abzulenken. Doch nichts hilft. Warum?

Das Kind ist überreizt. Sein ursprüngliches Gefühl war das der Müdigkeit. Es hatte so viele Reize aus der Umgebung aufgenommen, wie sein Gehirn verarbeiten konnte und dann wurde es müde. Doch die Eltern haben das Gefühl des Kindes "falsch" gedeutet. Es schrie nicht aus Hunger und nicht aus Langeweile. Es schrie einfach aus Müdigkeit. Die Versuche der Eltern, das Kind zu beruhigen, haben die Sache noch schlimmer gemacht. Irgendwann werden die Eltern selber müde und legen das Kind ab. Es fühlt sich unverstanden, vielleicht sogar abgelehnt und es versteht sich selbst nicht. Irgendwas scheint an ihm falsch zu sein. Wiederholen sich solche Vorgänge, werden die Eltern vielleicht sogar ungeduldig und fangen aus dem eigenen Frust heraus an, mit dem Kind zu schimpfen, es vielleicht sogar zu bestrafen.

Das Kind lernt, dass es die Eltern belastet. Es spürt, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Immer noch vertraut es den Eltern. Wenn sie schimpfen, muss es etwas falsch gemacht haben. Also fährt es seine Fühler noch mehr nach außen aus und versucht herauszufinden, was die Eltern so belastet. Es richtet die Aufmerksamkeit auf die Befindlichkeit der Eltern. Es wird immer unsicherer in seinem eigenen Verhalten. Vielleicht traut es sich gar nicht mehr, überhaupt sein eigenes Gefühl wahrzunehmen und nach außen zu tragen, denn es will die Eltern nicht damit belasten. Das kann so weit führen, dass das Kind sein Innenleben regelrecht verdrängt. Es versucht immer mehr über das Gehirn zu verstehen, was in der Außenwelt passiert, denn es muss sich ja darin zurecht finden. Es muss die Eltern verstehen. Das Kind ist darauf angewiesen, die Eltern dazu zu bringen, ihm wohlgesonnen zu bleiben. Je geringer das Selbstvertrauen auf das eigene Gefühl ist, desto mehr braucht es die Hilfe im Außen. Es saugt alles auf an Reaktionen der Mitmenschen, es beobachtet Details; alles, um zu lernen, wie es sich zu verhalten hat. Gleichzeitig empfindet das Kind eine Todesangst, von den Eltern nicht gesehen zu werden, nicht verstanden zu werden. Wie gesagt - die Fürsorge ist überlebensnotwendig für ein Kind. Das Gehirn ist überflutet von Stresshormonen. Es schreit förmlich: "Bitte seht mich, helft mir; erkennt doch endlich, was mir fehlt - ich kann es selber nicht einordnen". Und es schreit und tritt um sich. Und es ist kaum ansprechbar vor Stress. Das wäre eine mögliche Reaktion auf die Todesangst. Die andere ist die Flucht. Das Kind zieht sich in sich selbst zurück. Dann fehlt das "H" im "ADS".

Ich glaube, das ist der größte Stressfaktor im Leben eines Kindes: Die Angst, nicht gesehen zu werden. Zu wenig Liebe zu erhalten, die notwendig ist, damit das Kind mit seinen Bedürfnissen gesehen werden kann. Ein Kind, dass diese Geborgenheit nicht erfährt, wächst zu einem Menschen heran, der sich selbst nicht kennt. Er bleibt auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit. Er versucht sie überall aufzuspüren - und wo sie vermeintlich ausbleibt, entsteht sofort Stress - ja; Todesangst. Der Erwachsene bleibt ein Säugling in seinen Bedürfnissen. Natürlich können diese niemals gestillt werden, solange er sich selber nicht daran wagt, seine eigenen verdrängten Gefühle wahrzunehmen. Solange er sich selber nicht vertrauen kann, ist er weiterhin auf die Reaktionen der Umwelt angewiesen. Und so hat er seine Aufmerksamkeit überall, nur nicht bei sich selbst. Er wird, oder besser bleibt, hochsensibel bezüglich der Emotionen Anderer. Denn er sucht sie weiterhin als Spiegel, um sich selber zu verstehen. Er hat so wenig Selbst-Bewusstsein, dass er den Empfindungen des Gegenüber mehr vertraut, als den eigenen. Gleichzeitig aber fühlt er, dass er Bedürfnisse hat; Diese verunsichern ihn zutiefst, da er nie gelernt hat, sie zu deuten. Alles wird also mit dem Verstand zu erklären versucht. Er grübelt und denkt im Kreis, weil er über den Verstand nicht auf die Gefühlsebene kommt. Sein Selbstvertrauen untergräbt er damit immer weiter. So weit, dass er sich verstecken muss, weil er spürt, dass da etwas ist, was nicht sein darf - weil er es nicht versteht. Es fühlt sich an, wei ein innerer Dämon, den er zu verbergen und zu zähmen versucht. Aber je mehr er diesen unterdrückt, desto mehr drängt es ihn nach außen. Die Fassaden werden dicker und die Mauern undurchdringlicher. Er fesselt sich damit selbst. Im Herzen ist er der Säugling, der nach Liebe lechzt. Im Außen ist er stark und cool und versucht mit aller Kraft sein Inneres zu verbergen. Und Honorè de Balzac erkennt:

"Die Gefühle offenbaren sich umso weniger, je tiefer sie sind"

Und so werden diese Kinder, wenn sie erkennen, dass dieses Urbedürfnis in der Welt da draußen sich nicht stillen lässt immer resignierter. Sie spüren sich selber immer weniger, spalten sich von ihren Gefühlen gänzlich ab. Das Vertrauen in sich selber geht vollends verloren und auch das in die Mitmenschen schwindet, denn sie erfüllen keine Bedürfnisse in bedingungsloser Liebe, die sich der Hochsensible so sehr wünscht. Die Lebenslust schwindet und der Mut, der nur mit Vertrauen überhaupt aufzubringen ist. Und so erkennt Balzac weiter:

"dort zu vernünfteln, wo es zu fühlen gilt, ist eine Eigenart schwungloser Seelen".

Was passiert, wenn diese bedürftigen armen Seelen selber Eltern werden. Wie kann man die Bedürfnisse des Anderen erkennen, wenn man sie selber nicht kennt? Es entsteht ein Teufelskreis. Und so entwickelt sich eine Welt, die aus Kindern besteht, die nach Hilfe schreien, im wahrsten Sinne des Wortes. Die ihre Aufmerksamkeit einzig auf der Sehnsucht nach Erkannt-werden haben. Da ist kein Raum für das Lernen von Schulstoff, bevor dieses "Sich-selber-kennenlernen" nicht stattfinden konnte. Wo jeder sich selber fremd ist und damit erst recht dem Anderen. In dieser entfremdeten Welt haben Manipulation und Korruption leichtes Spiel. Die verlorenen Seelen strecken ihr Hände entgegen, die ihre Bedürfnisse und Ängste zu stillen vorgeben; natürlich nicht, ohne sie vorher geschürt zu haben.

Die Lösung beginnt in der Kindheit. Sie liegt im Erkennen der natürlichen Bedürfnisse des Menschen. Und Bedürfnisse äußern sich ausschließlich über die Gefühle. Wenn diese nicht sein dürfen, müssen sie verleugnet werden; und damit verleugnet man sich selbst. Man "steht" nicht zu sich selbst und benötigt all die Masken und Fassaden.
Einzureißen sind sie nur damit, dem Kind Selbstvertrauen zu lehren - indem man ihre Bedürfnisse erkennt, gelten lässt und befriedigt. Und zwar am Kern - und nicht in der Ersatzbefriedigung, die ja keine ist und damit das Selbstvertrauen sogar weiter schwächt.

Die Bedürfnisse der Kinder sind keine Tablets. Keine Smartphones, keine Spielsachen und keine Süßigkeiten. All diese "Bedürfnisse" überdecken nur das, was wirklich fehlt:
Das Gefühl, verstanden zu werden. Die Zuwendung, die das Kind braucht, um sich selber vertrauen zu können. Die Liebe, die dem Kind hilft, sich seiner selbst bewusst und damit selbstbewusst zu werden. Selbstbewusstsein entsteht durch Selbstvertrauen. Dieses lernen wir nur und ausschließlich über die Wahrnehmung unserer Gefühle.


Warum Überfürsorglichkeit zu Selbstverlust führt


Warum Überfürsorglichkeit zu Selbstverlust führt

In einem anderen Artikel hatte ich dargestellt, wie ein Mangel an Geborgenheit zu einer Aufmerksamkeitsstörung führen kann. Doch auch ein "Zuviel" an Geborgenheit kann das Kind in seiner Entwicklung hemmen. Eine Überfürsorglichkeit hemmt vor allem ein urmenschliches Bedürfnis: die Freiheit. Wo bei einem Mangel an Geborgenheit die Wurzeln fehlen, fehlen bei zu viel Fürsorge die Flügel.

Doch der Mensch braucht diese beiden scheinbar gegensätzlichen Attribute, um sich zu entfalten. In beiden Fällen erkennt die Bezugsperson eines dieser Urbedürfnisse nicht an; im Falle der Überfürsorglichkeit z.B. der Mutter ist diese zwar physisch immer für das Kind anwesend, doch sie interpretiert, willentlich oder unwillentlich, die Bedürfnisse des Kindes falsch. Dadurch ist die Reaktion der Mutter auf eine Gefühlsäußerung des Kindes falsch verknüpft und das Kind lernt seine Gefühle falsch kennen. Es interpretiert sie somit auch später auf die Weise der Mutter und übergeht damit das, was das Gefühl ihm eigentlich mitteilen wollte. Nehmen wir als Beispiel ein übermüdetes Kind. Es schreit, weil es sich nach Ruhe sehnt. Die Mutter nimmt es zu sich, um es zu stillen. Somit interpretiert die Mutter das Schreien falsch und gibt ihm ein Zuviel an Nähe. Nun könnte man argumentieren, dass ein Zuviel an Geborgenheit ja nicht verkehrt sein kann, und dass das Stillen eine beruhigende Wirkung habe. Das Problem ist jedoch, dass zum Stillen des Bedürfnisses nach Ruhe keine Bezugsperson notwendig gewesen wäre. Folglich lernt das Kind, dass es sich bei Müdigkeit und Erschöpfung nicht alleine beruhigen könne. Es wird bedürftig. Sobald es müde wird, glaubt es seine Mutter zu brauchen. Bei Erschöpfung wird es als Erwachsener dazu neigen, jemanden zu brauchen, der ihn "tröstet". Dabei ist Müdigkeit und Erschöpfung ein Zustand, der nicht leidvoll ist und Trost bräuchte. Ist kein Tröster da, wird zumindest das Gefühl bleiben, gestillt werden zu müssen; oft geschieht dies z.B. durch Süßigkeiten. Die Frage ist auch, ob daher eher Frauen zur Naschsucht neigen, weil diese in der Kindheit mehr Geborgenheit erfuhren als die Jungs, denen in unserer Gesellschaft oft eine höhere Frustrationstoleranz abverlangt wurde.

Das Kind wird durch zu viel Fürsorge entmündigt. Dieses Wort ist wörtlich zu nehmen, denn zu Beginn seines Lebens kann der Säugling nicht sprechen und ist auf seine Gefühlssprache angewiesen. Er ist darauf angewiesen, dass seine Gefühlsäußerungen von der Bezugsperson richtig gedeutet wird. Er lernt im Idealfall, was ein bestimmtes Gefühl ihm mitteilen möchte und kann seine Bedürfnisse künftig verbal äußern, sobald er der Sprache mächtig ist. Ist es z.B. müde, kann das Kind der Mutter sagen, dass es schlafen möchte und Ruhe braucht. Hat es jedoch nicht erfahren, was sein Gefühl ihm wirklich mitteilen möchte, kann es sich nicht äußern. Es ist seinem Gefühl weiterhin ausgeliefert. Es spürt die Müdigkeit, doch denkt es, Nähe zu brauchen oder Nahrung. Es interpretiert sein Gefühl falsch. Es ist als wenn ein Kind von Beginn an lernen würde, einen "Stuhl" mit dem Begriff "Tisch" zu beschreiben. Es lernt eine falsche Sprache und wundert sich nachher, warum die anderen Kinder es nicht verstehen. Es muss verunsichert sein. Trifft dieses Kind nun in der Schule auf andere Kinder, so muss es viel Energie aufbringen, sich selber zurechtzufinden. Es kann seiner eigenen Sprache der Gefühle nicht vertrauen. Seine Fühler gehen vom Inneren nach außen und suchen dort, die "richtige" Sprache zu lernen. Dieses Kind kann seinen eigenen Gefühlen nicht mehr trauen und verliert damit das Selbstvertrauen. Ein Kind, dass seinen Gefühle falsch zuordnet ist zwangsläufig verunsichert. Es spürt, dass es anders ist. Es registriert, dass kein anderes Kind Stühle als Tische bezeichnet. Da das Kind sich selbst nicht vertrauen kann, sucht es weiterhin den Halt im Außen. Ist die Mutter nicht anwesend, so sucht es andere Bezugspersonen, die ihm Sicherheit und Trost spenden könnten. Es ist somit darauf angewiesen, anderen zu gefallen, angenommen zu werden, sonst glaubt es sich selbst zu verlieren. Es fühlt weiterhin die Todesangst eines Neugeborenen, das auf die Bezugsperson angewiesen ist; es braucht weiterhin, dass jemand seine Bedürfnisse wortlos erkennt und stillt. Es bleibt ein Leben lang unselbstständig, wenn es seine Gefühle nicht lernt richtig zu interpretieren.

Die Suche nach dem äußeren Halt kann die gesamte Aufmerksamkeit des Kindes beanspruchen. Es ist ständig auf der Suche nach emotionalem Erkennen. Während es im Unterricht mathematische Formeln lernen sollte, arbeitet sein Gehirn bereits auf Hochtouren, um die Umgebung abzuscannen. Eine Fehlinterpretation der Mutter kann den Säugling das Leben kosten; er vertraut der Mutter bedingungslos. Lernt er, sich selbst nicht vertrauen zu können, so führt das mangelnde Selbstvertrauen zu emotionaler Abhängigkeit. Überfürsorglichkeit suggeriert dem Kind aber nicht nur, dass es fremde Hilfe benötigt; sie legt auch die Intensität eines Gefühls fest. Ein Kind, das Laufen lernt z.B. wird immer wieder fallen und sich vielleicht auch wehtun. Eine ängstliche und sehr fürsorgliche Bezugsperson wird das Kind behüten und trösten wollen. So wird sie es vielleicht länger an die Hand nehmen, damit es nicht fällt. Das Kind lernt, dass es die Hand wohl noch braucht, weil die Gefahr der Verletzung zu groß wäre. Es lernt die Gefahr als bedrohlicher anzusehen als sie tatsächlich ist. Fällt es dann tatsächlich einmal hin, wird es schreien und nach der Mutter rufen. Das Maß des Trostes gibt dem Kind ein feedback, wie schlimm es sich verletzt hat, denn selber hat es noch kein Gefühl für den Grad der Verletzung. Gerät die Mutter in Panik, so wird es das Kind auch tun. Bleibt sie gelassen, so erkennt das Kind, dass keine Gefahr besteht. Es lernt sich selber einzuschätzen. Doch ist diese Einschätzung nicht objektiv; sie resultiert auf der Einschätzung der Bezugsperson. Traut diese dem Kind zu, alleine zu laufen und gerät beim Fallen nicht aus dem Häuschen, so wird das Kind den Mut entwicklen, sich schwierigen Situationen zu stellen. Traut sie ihm jedoch wenig zu, so wird das Selbstvertrauen untergraben und es wird vor schwierigen Situationen zurückschrecken und nach Hilfe suchen. Die Suche im Außen beansprucht seine gesamte Energie. Bleibt Hilfe aus, so droht das Kind sich zu verlieren - und diese Todesangst bleibt ein Leben lang bestehen. Sie zwingt den Menschen dazu, anderen zu gefallen, da das "auf sich selbst gestellt sein" - dem Neugeborenen gleich - das Todesurteil wäre. Die gesamte Aufmerksamkeit ist nach außen gerichtet - für Schulstoff bleibt da wenig übrig, zumal er im Angesicht des Todes wahrlich unwichtig ist.


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